8. Thesenpapier der Gruppe corona-netzwerk.info

Das achte Thesenpapier (151 Seiten!) einer Gruppe renommierter Gesundheitswissenschaftler und ehemaliger Mitglieder des Sachverständigenrats ist erschienen - https://corona-netzwerk.info/.../08/Thesenpap8_endfass.pdf

(Auszug) "Die wichtigsten Botschaften auf einen Blick:

  1. Vom Tunnel zum Labyrinth: Eine falsche Politik führt zu einer chaotischen Unübersichtlichkeit von Folgeregelungen: Reste von „Inzidenzregelungen“, eindimensionale Ersatzparameter, „3G“, Sanktionen gegen nicht geimpfte Personengruppen, „2G“, Bundesland-spezifische Verlautbarungen, unterschiedliches Handling von öffentlichen und privaten Stellen, eine Schulpolitik, die die Last den Maskentragenden Kindern aufbürdet, tägliche Zahlenmeldungen weiterhin ohne jegliche Angabe von Altersbezug oder Impfstatus, Verunglimpfung der Wissenschaft (Beispiel STIKO) ... ein unwürdiges Schauspiel des Scheiterns.
  2. Pandemie als komplexes System: Die Grundannahme eines linearen, oligokompartimentellen Verhaltens der Epidemie kann nicht sinnvoll aufrechterhalten werden - eine Epidemie entwickelt sich nicht entlang einzelner (noch dazu nicht genau zu bestimmender) Parameter („Inzidenz“, „R größer 1“), auch nicht, wenn man einzelne zusätzliche Parameter mit einschließt (multivariate Modelle).
  3. Prävention als Komplexe Mehrfachintervention planen und durchführen: Komplexe Systeme sind durch Einzelmaßnahmen nicht zu beeinflussen. Eine wirkungsvolle Prävention muss auf dem Konzept der Komplexen Mehrfachintervention (Complex Multicomponent Interventions, CMI) basieren, das auf den dreidimensionalen Grundsätzen containment, protection und mitigation einerseits und Erreger-seitigen, Wirts- und Umgebungsfaktoren andererseits beruht.
  4. Emergente Effekte auf gesellschaftlicher Ebene sind nicht auszuschließen: Zusammenfassend muss auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden, dass durch das komplexe Wechselspiel zwischen Epidemie und Gesellschaft nicht nur erklärende, erhellende Einsichten sowie Handlungsoptionen gewonnen werden können, sondern dass auch unerwartete, emergente Entwicklungen generiert werden, die negative Auswirkungen, ja sogar neue und tiefergehende Konflikte zur Folge haben. Aus dieser Perspektive kann nur mit Nachdruck auf die Notwendigkeit zu einem bedachten, nicht eindimensionalen, sondern multiperspektivischen Vorgehen geraten werden. In diesem Sinne ist die Wiedereinsetzung der Grundrechte als unbedingtes Ziel zu bezeichnen.
  5. Indikator „7-Tage-Inzidenz“ nicht zu verwerten: Der Indikator „7-Tage-Inzidenz“ ist als alleiniges Mittel zur Beschreibung des Krankheitsverlaufes und der Nutzung der Einrichtungen des Gesundheitswesens nicht zu verwerten. Der Indikator ist weder adäquat spezifiziert (fragliche Begriffsbildung, inadäquater Beobachtungszeitraum, fehlender Populationsbezug) noch zuverlässig (reliabel) zu messen (v.a. abhängig vom Stichprobenumfang, Teststrategie), außerdem ist er nicht valide und wird sehr stark durch bekannte sowie unbekannte Störvariablen beeinflusst.
  6. Multidimensionales Indikatoren-Set zur Steuerung: Da die „7-Tage-Inzidenz“ und andere isolierte Werte wie die derzeit diskutierte „Hospitalisierungsinzidenz“ als alleinige Parameter ungeeignet sind, das (regionale) Infektionsgeschehen und dessen Entwicklung zu beschreiben, müssen multidimensionale Indikatorsysteme (Indikatoren-Sets) entwickelt werden.
  7. Kinder - minimale Morbidität: SARS-CoV-2-Infektionen im Kindes- und Jugendalter verlaufen gewöhnlich asymptomatisch oder verursachen nur einen milden Krankheitsverlauf von kurzer Dauer. Weniger als 1% aller Kinder und Jugendlichen musste wegen und mit einer SARS-CoV-2-Infektion hospitalisiert werden. Ein schwerer oder gar tödlicher Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion ist selbst bei bestehenden Vorerkrankungen extrem selten und liegt deutlich unter den so genannten „allgemeinen Lebensrisiken“.
  8. Kinder und Jugendliche – am folgenschwersten durch Kontaktbeschränkungen betroffene Bevölkerungsgruppe: Schul- und Kindergartenschließungen, Fehlernährung, Bewegungsmangel und erhöhter Medienkonsum sind für die Heranwachsenden mit einem deutlich erhöhten gesundheitlichen Risiko verbunden. Psychische Erkrankungen, Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche, sexueller Missbrauch und Kinderpornographie haben deutlich zugenommen.
  9. Schulen sind keine Hot Spots: Die Infektionen wurden in der Regel in die Schulen hineingetragen, selten nehmen Infektionsketten dort ihren Anfang.
  10. Die besonderen Hygienemaßnahmen in Kindergärten und Schulen (Reihentestungen, Quarantäne, Maskenpflicht der Schüler) entbehren der wissenschaftlichen Evidenz und sind hinsichtlich der Risiko-, Aufwand- und Nutzenbewertung weder geeignet noch verhältnismäßig.
  11. Zweifelhafter Wert der Impfempfehlung: Dass der auf den Jugendlichen lastende psychosoziale Druck durch die neue Impfempfehlung geringer wird, muss bezweifelt werden. Der Druck wird nämlich nicht durch eine Infektion hervorgerufen, die in aller Regel mild verläuft, sondern durch eine Politik, die den Lebensalltag der Heranwachsenden in einem unverhältnismäßigen Ausmaß einschränkt.
  12. Der Infektionserreger als „Dritte Größe“: Die Gesellschaft und das Behandlungssystem sind nicht nur als unilaterale Einflussfaktoren auf das Verhalten des Infektionserregers zu verstehen, sondern das infektiöse Agens wirkt seinerseits auf die Gesellschaft und die Strukturen des Behandlungssystems zurück: die Gesellschaft ist ebenfalls betroffen. Diese „Infektion der Gesellschaft“ erklärt die Massivreaktion, die alles außer Kraft zu setzen droht und Entwicklungen denkbar macht, die vorher undenkbar waren. Als Ursache dieser Massivreaktion wird in diesem Text eine historische Synchronisation unterschiedlicher Widersprüche des gesellschaftlichen Systems diskutiert, die durch gleichsinnige Ausrichtung eine überadditive Kraft entwickeln.

Neun Aspekte werden ausführlich dargestellt:

  1. In den Gesundheitswissenschaften (Aspekt 1) ist es zu einer gewaltigen Macht und Ressourcenverschiebung zugunsten der Grundlagen-orientierten, patientenfernen Forschung gekommen.
  2. Der Krankheitsbegriff (Aspekt 2) in seinem Wechselspiel zwischen biologischem und sozialen Verständnis hat durch die SARS-CoV-2/CoViD-19-Epidemie eine abrupte Wendung hin zu einem dezidiert biologischen Reduktionismus genommen, was sich besonders in der Konfiguration der Präventionsanstrengungen niederschlägt, die einseitig auf die Minimierung der Erregerausbreitung ausgerichtet ist und soziale Formen der epidemischen Kontrolle sowie die Folgen der containment-Politik weitgehend ausblendet.
  3. In der Rolle der Patienten (Aspekt 3) im Behandlungssystem hat sich in der Corona-Epidemie wieder auf der ganzen Linie ein autoritär-paternalistisches Verständnis durchgesetzt.
  4. Die für die Organisationen (Aspekt 4) des Gesundheitswesens typische Form der Expertenorganisation (professional bureaucracy) wurde zu klassischen hierarchischen Strukturen rückentwickelt.
  5. In der gesellschaftlichen Koordination (Aspekt 7) sind persönlich-interaktive und soziale Mechanismen im Rahmen der SARS-CoV-2/CoViD-19-Pandemie in den Hintergrund getreten.
  6. Durch die Einebnung der Rollendifferenzierung zwischen Politik, Wissenschaft und Medien (Aspekt 9) gerierten sich die Medien als Instanzen der autoritativen Zu- und Aberkennung wissenschaftlicher Reputation, Politik suggerierte, nur Vollzug wissenschaftlicher Imperative zu sein, und Wissenschaftler zeigten sich oft willig, der Politik die situativ gerade benötigte Empfehlung jeweils zu liefern.

In der Summe drängt sich der Eindruck eines „Großen Zurück“ auf: lineare, hierarchische, gut messbar-biologistische, ins Paternalistische reichende, letztlich einfache Erklärungs- und Steuerungsansätze haben komplexe Sichtweisen und Handlungsansätze überrollt, obwohl gerade diese die Kompetenz einer entwickelten Gesellschaft repräsentieren."